„Eine Portion Kultur bitte!“

In Bursa wurde der Döner erfunden. Zumindest die türkische Variante des „Iskender Kebab“. Die Bewunderung für deutsch-türkische Esskultur à la Berlin-Mitte hält sich hier in Grenzen – im Luxus-Restaurant des Erfinder-Enkels verkehren Schauspielstars und Staatspräsidenten.

Eines steht fest: Der Döner ist zwar des Deutschen liebstes Fast-Food-Gericht, weit abgeschlagen schmachtet die Currywurst in ihrer Tomatensauce. Aber erfunden wurde der Döner nicht in Berlin-Mitte. Wer das bezweifelt, der befrage bitte Yavuz Iskenderoglu. Sein Name verrät, warum er Experte für solche Fragen ist: Yavuz ist der Sohn von Süleyman Iskenderoglu, der wiederum der Sohn von Iskender (Iskenderoglu) ist. Und Iskender ist der Erfinder des Döners, genauer: des Döner Iskenders, der auch Iskender Kebab oder Bursa Kebab genannt wird. Was denn jetzt?

Im Moment lässt Yavuz keine Fragen zu. Hoher Besuch hat sich in seinem Restaurant im Botanischen Garten von Bursa eingefunden. Adnan Polat, Vizepräsident des Fußballvereins Galatasaray Istanbul, genießt mit ein paar Funktionären das, weswegen alle hierher kommen: Döner Iskender, also Iskender Kebab oder Bursa Kebab. Deswegen braucht man auch nicht nach einer Speisekarte zu fragen. Es gibt – neben den obligatorischen Vorspeisen (Meze) – nichts anderes.

Yavuz bittet uns in einen Nebenraum, fest umschlossen in seinen Händen: Visitenkarten im großen Stapel. Als erwarte er die gesamte türkische Fußballnationalmannschaft oder gleich die ganze Regierung aus Ankara, denen er zunächst die Visitenkarte in die Hand drückt, um dann die Geschichte seines Großvaters zu erzählen.

Die von Alexander, auf Türkisch „Iskender“, nämlich. Davon, wie jener Iskender um das Jahr 1850 sich darüber Gedanken machte, das kleine Restaurant seines Vaters aufzupeppen. Lammspieße waren damals schon weit verbreitet. Doch man legte sie meist direkt auf die glühenden Kohlen. So waren einige Stellen schon verkohlt, während es im Innern noch zart rosa tropfte. Also richtete er den Grill kurzerhand auf und grillte das Fleisch vertikal an den Kohlen. Das Urmodell der in aller Welt verbreiteten Dönergrills steht heute in der Vorhalle des Restaurants, auf dass es entsprechende Bewunderung erfahre.

Eine Pommes ist erlaubt

Das waagerechte Herunterschneiden des Fleisches hatte noch einen weiteren Vorteil: Die Scheiben werden sehr dünn und deswegen sehr kross. Füllt man diese krossen Fleischscheiben in ein Brot, belegt es mit einer Scheibe Tomate, ein paar Scheibchen Gewürzgurken und vielleicht einer Pommes-Frites (eine, nicht mehr!), dann hat man einen Döner „allaturca“.

So jedenfalls erzählt Yavuz Iskenderoglu die Version der Erfindung des Döners. Es gibt Reiseberichte, die älter sind und auch von etwas berichten, das sich wie Döner anhört. Als Helmuth von Moltke als preußischer Militärberater Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufbau der neuen türkischen Armee betraut war, soll er in den Genuss eines Kebab-Essens gekommen sein. Man sagt, das sei in der Nähe von Bursa gewesen. „Nun ja“, räumt Yavuz Iskenderoglu ein, der sich nun, da sich die Fußballmanager verabschiedet haben, wieder entspannt, „das könnte bei meinem Großvater gewesen sein. Aber so genau weiß man das nicht mehr.“ Steht deswegen auch als Gründungsdatum auf den Firmenschildern das Jahr 1867 und nicht 1850? „Ja, wir haben uns in der Familie auf dieses Jahr geeinigt. Es muss ja mal begonnen haben, irgendwann vor über 150 Jahren“, sagt Yavuz.

Iskender hatte übrigens noch eine weitere Idee, und das war die entscheidende: Viel besser als „allaturca“ schmeckte es, würde man kross gebackenes Fladenbrot in kleine Stücke schneiden, das Dönerfleisch oben drauf legen, mit einer pikanten Tomatensoße bedecken und als Krönung heiße Butter darüber gießen. Dazu reicht man Joghurt. Fertig war der Döner à la Iskender, woraus der Döner Iskender wurde, oder, da alles gegrillte Fleisch auch Kebab heißt, auch der Iskender Kebab. Egal wie er nun heißt, er fehlt heute auf keiner Speisekarte eines türkischen Restaurants. Auch in Berlin oder Köln nicht, dessen „Urform“, den Döner allaturca, türkische Gastarbeiter Anfang der siebziger Jahre in Deutschland einführten.

Häme für deutsche Döner-Kultur

Häme für deutsche Döner

„Aber bitte“, echauffiert sich Yavuz Iskenderoglu, „bitte vergleichen Sie nicht Döner in Deutschland mit Döner in der Türkei. Döner in Deutschland! Dieses tiefgefrorene Stück Fleisch, kurz angegrillt und belegt mit allerlei Schnickschnack an Salaten und Saucen. Also nein, so etwas gibt es bei uns nicht.“ Entspannt lehnt er sich zurück, der Bauch wölbt sich über den Gürtel, akzentuiert durch die schwarzrotgold gestreifte Krawatte. Döner Iskender schmeckt nicht nur, man kann damit auch reich werden.

Yavuz besitzt mehrere Restaurants in Bursa, der Stadt, in der die Osmanen einst wegen des angenehmen Klimas und des satten Grüns für ein paar Jahre ihre Hauptstadt errichteten, bevor sie ihr besitzhungriges Auge auf Istanbul richteten. Auf diesem satten Grün weiden auch seine Schafe und Lämmer, nur aus deren Fleisch wird Döner Iskender gemacht. Rinder und Kälber oder gar Geflügel haben auf dem Teller nichts verloren.

Und den Lämmern und Schafen geht es gut zu Füßen des Uludag-Berges, wo Türken im Winter Ski laufen und nur beste Kräuter wie Thymian, Oregano und Salbei wachsen. Manche schwören darauf, Dönerfleisch mindestens zwei Tage in einer Marinade von Milch und Olivenöl ziehen zu lassen. „Das brauchen wir nicht“, erklärt Yavuz. „Das Klima bekommt den Tieren so gut, dass sie nur bestes Fleisch liefern.“ Und bevor sie aufgespießt werden, führt man sie noch mal über die Wiesen, damit sie sich entspannen: „So geraten sie nicht in Stress und das Fleisch wird schön zart und saftig. Wir würzen es dann nur noch mit Salz. Baschka bir schey yok – sonst nichts. Alles biologisch!“

Bei dem derzeitigen Bioboom in Deutschland könnte das ein Exportschlager sein: Döner von glücklichen Lämmern auf satten Wiesen zu Füßen der Berge! „Stimmt, aber seit BSE und Vogelgrippe dürfen wir das Fleisch nicht in die EU exportieren“, erklärt Yavuz. „Wenn wir also in die EU kämen, könnte ich expandieren.“ Solange das aber nicht möglich ist, hat er zunächst Franchise-Kooperationen im Auge. Für Ende dieses Jahres sind Restaurants in Berlin und Frankfurt am Main geplant. Auch in die USA möchte er expandieren, „damit die Amerikaner sehen können, dass Fast-Food lecker sein kann“.

Fleischspieß-Kultur in osmanischer Villa

Yavuz wird nicht müde, es zu betonen: Döner Iskender ist mehr als nur ein besonders zubereitetes Dönergericht. Es ist „Kebab Iskender Kültürü“: ein Stück Kultur, dessen Erbe bewahrt werden müsse. Entsprechend vermarktet er das Produkt. Das Restaurant am Botanischen Garten hat Yavuz für Millionen wie einen alten Konak, eine alte osmanische Villa, bauen lassen. Die Wände und Decken sind nach alten Vorlagen bemalt, sie sollen ein Stück Paradies vermitteln. Ein eigener TV-Sender berichtet über die Entwicklungen der „Iskender Kültürü“ – vor allem darüber, welche Prominenten sich wann eingefunden und in welcher Form sie das Essen gepriesen haben –, auf der Website wird von Visionen und sogar von Missionen gesprochen.

Der Name „Kebabci Iskender“ ist als Marke eingetragen. Alles Iskender-Kültürü. Damit es die nachfolgenden Generationen auch mitbekommen, lehrt Yavuz Iskenderoglu als Dozent an einer Berufsschule über das Thema „Kebab“: Wie sucht man das Fleisch aus, wie wird es aufgeschnitten, wie bedient man die Gäste zuvorkommend und zufriedenstellend? „Über Generationen haben wir schließlich gelernt, worauf es ankommt beim Döner.“

Kein Wunder also, dass bei so viel Kulturarbeit regelmäßig Prominente vorbeischauen. Selbst Premierminister Recap Erdogan soll einmal das Besuchsprogramm in Bursa geändert haben, damit er es sich bei den Iskenderoglus munden lassen konnte. Yavuz zeigt auf das entsprechende Foto, das an jenen Nachmittag erinnert. Schon kündigt sich weiterer hoher Besuch an: Der bekannte Schauspieler Ali Poyrazoðlu kommt mit einem auffallend jungen androgynen Mann herein. Beide tragen tiefdunkle Sonnenbrillen. „Das gehört auch zur Iskender-Kultur“, sagt Yavuz mit einem Lächeln: „Prominentenbetreuung.“ Er verabschiedet sich, die Visitenkarten immer noch fest in der Hand umklammert. Die braucht er jetzt auch wieder. Alles Kebab Kültürü.

die Quelle:https://www.spiegel.de